Wo liegt mein Sehnsuchtsort?
Achtsamer Großgruppenprozess beim D-A-CH-Treffen 2020 in Mainz

Bereits zum zehnten Mal trafen sich die Vertreter der vier größten Enneagramm-Vereinigungen im deutschsprachigen Raum, um sich über die Gemeinsamkeiten ihrer Lehransätze auszutauschen. Seit 2018 findet das Treffen in Form eines Retreats statt. Der Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm e. V. (ÖAE), das Deutsche Enneagramm Zentrum e.V. (DEZ), der Enneagrammverein in der Mündlichen Tradition nach Helen Palmer (EMT) e.V. und das Enneagramm Forum Schweiz (EFCH) hatten jeweils enneagrammkundige Vertreterinnen und Vertreter in den Erbacher Hof nach Mainz entsandt. Seit 2018 ist hier eine Gemeinschaft gewachsen, die auf der Basis tiefen Vertrauens und guten Verständnisses die gemeinsame Erforschung des deutschsprachigen Enneagramm-Kosmos ermöglicht. Drei Tage tauschten sich die Enneagramm-Freunde darüber aus, wo die wahren Sehnsuchtsorte der einzelnen Muster im Enneagramm liegen und welche Entwicklungswege und Anfechtungen die einzelnen Teilnehmer in den vergangenen 12 Monaten durchlaufen haben.

 

Wie in vielen anderen Ländern der Welt, gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz – der „D-A-CH-Region“ – eine lebhafte und bunte „Enneagramm-Szene“. „Es ist uns in den letzten drei Jahren gelungen, ein gemeinsames Grundverständnis zur Enneagrammarbeit in allen vier Verbänden herauszuarbeiten.“ stellten Katrin Richter und Martin Schreiber vom DEZ fest, die die Veranstaltung als offenen Großgruppenprozess in bewährter Weise moderierten. „Diesmal haben wir uns zum Beispiel mit einer Frage befasst, die für alle Teilnehmenden ziemlich neu war: Lässt sich für die neun Muster ein realer oder metaphorischer Ort beschreiben, der Erlösung aus den Verwicklungen des Musters verspricht und wenn ja: Wie kann man diesen beschreiben? “ strich Doris Wetzig, langjährige ehemalige Vorsitzende des ÖAE heraus, die das Treffen seit mehreren Jahren federführend organisiert. „Wir wollen über alle Verbände hinweg beschreiben, was das Ziel ist, auf das sich die Menschen in den jeweiligen enneagrammatischen Mustern zubewegen. Dazu haben wir in den letzten drei Jahren wichtige Schritte getan, was ich sehr schätze und was mich auch berührt hat resümiert Markus Züger, Präsident des Enneagramm Forum Schweiz EFch). Das Besondere am Enneagramm als Modell sei, dass es Entwicklungsmöglichkeiten vorzeichne und damit nicht nur deskriptiv, sondern dynamisch sei, so der Konsens aller Beteiligten.

Einen wesentlichen Teil des Gruppenprozesses nutzten die Anwesenden dazu, über individuelle Entwicklungswege und -prozesse der Anwesenden zu sprechen. Dabei wurde sehr anschaulich deutlich, wann und wo es gelang, den eigenen „Autopiloten“ abzuschalten und wie das Enneagramm Handlungsfreiheit ins Leben bringen kann. „Zu erleben, in welchen Facetten sich die Leidenschaften der neun Muster ausdrücken und zum Beispiel die Begriffe ‚Zorn‘ und ‚Empörung‘ ganz unterschiedlich verstanden und gelebt werden können, ist außerordentlich plastisch geworden.“ so Claudia Goldbach, Vorsitzende des EMT. „Wir haben über die Jahre eine Vertrauensbasis und einen sehr achtsamen Umgang miteinander entwickelt, die dieses Treffen für uns alle zu einem Geschenk machen.“ so Eva Gumbinger vom EMT.

„Nächstes Jahr wollen wir uns, nachdem nun drei Jahre lang die Suche nach Gemeinsamkeiten im Vordergrund der Treffen stand, darüber austauschen, wo wir unterschiedliche Blickwinkel und Ansätze haben.“ fasst Peter Maurer, Vorsitzender des ÖAE, den Plan für das nächste Treffen im Jahr 2021 zusammen. „Das ermöglicht es uns, mehr zu verstehen, denn wir wollen die Unterschiede in den Ansätzen nicht nur oberflächlich beschreiben, sondern auch deren Hintergründe und Auswirkungen auf unsere Entwicklungs-Arbeit verstehen,“ so Paul Glar vom DEZ.

Das Enneagramm ist u. a. eine Theorie der Persönlichkeit, welche bei Menschen neun verschiedene (Charakter-)Muster mit neun verschiedenen Leidenschaften unterscheidet. Sie fördert persönliches Wachstum und findet Anwendung in verschiedenen Bereichen, in denen es um ein gelingendes Miteinander von Menschen geht, unter anderem in Psychologie, Seelsorge, Jugendarbeit und Geschäftswelt. Die Mitglieder aller deutschsprachigen Enneagrammvereinigungen haben ein Ziel: Sie wollen mit dem Konzept dazu beitragen, dass viele Menschen möglichst gemäß ihren Anlagen leben und Zufriedenheit im Leben erreichen können.

Verfasser: Alexander Pfab, ÖAE, ap.pa@web.de