vom 23.-25.11.2018 mit Hans Neidhardt zum Thema:
„Wie wir unsere Beziehungswelten erschaffen“

Ein Kreis von 38 Menschen hat sich am Freitagabend im Schulungsraum in Ritschweier eingefunden, um von Hans in das Thema der Tagung eingeführt zu werden.

Hans arbeitet als Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Hirschberg. Er erzählt uns, dass er versucht seine beiden großen Lieben, das Enneagramm und das Focusing, in die jeweils andere Welt zu assimilieren.

Das Wort „Focusing“ kommt vom englischen „to focus“ und beschreibt eine besondere Art der Selbstaufmerksamkeit auf den inneren Körper. Fokussiert ist es leichter, automatische typspezifische Reaktionen anzuhalten.
Dazu machen wir eine Übung: Wir sollen versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf unser eigenes inneres Erleben zu beziehen. Wir nehmen mit den Augen den Raum wahr, dann versuchen wir zu spüren, wie sich unser Körper von außen anfühlt, wir erden uns mit den Füßen im Boden und „himmeln“ uns mit dem Kopf nach oben. Für viele von uns eine neue Erfahrung.

Der „Focusing-Vater“ Eugene Gendlin (1926-2017) sagte: „Der Körper ist immer in der Situation und die Situation ist immer im Körper. Etwas von der äußeren Situation bildet sich im Inneren des Körpers ab.“

Hans gibt uns noch mal einen Überblick: Zwischen Körper und äußerer Situation findet eine Interaktion statt. Es gibt „freie“ Erlebensprozesse  („Ich spüre mich im Hier und Jetzt“) und „mustergebundene“ Erlebensprozesse („Ich erlebe eine Situation mustertypisch eingeengt und verzerrt“).

Die drei existentiellen Bedürfnisse im inneren Dreieck des Enneagramms, Autonomie (Muster 8, 9 und 1), Liebe (Muster 2, 3 und 4) und Sicherheit (Muster 5, 6 und 7) versuchen die jeweiligen Muster aus ihrer Sicht zu lösen:

Autonomiezyklus:
Muster 8: „Wer mir entgegen tritt, der wird mich noch kennenlernen.“
Muster 9: „Ich brauche keine Autonomie, ich habe aufgegeben.“
Muster 1: „Ich erkenne die Fehler der Anderen und meine eigenen und bin so unangreifbar.“

Liebeszyklus:
Muster 2: „Ich intensiviere meine Bemühungen und helfe wo ich nur kann.“
Muster 3: „Ich werde besonders tüchtig und produktiv, wenn ich nicht für  das geliebt werde, was ich bin.“
Muster 4: „Ich beziehe mich autoerotisch auf meine eigene Person.“

Sicherheitszyklus:
Muster 5: „Ich trenne mich von allem ab, um Sicherheit zu finden.“
Muster 6: „Ich zweifle mich und andere an, bis zum Grund.“
Muster 7: „Ich benutze meine mentalen Prozesse, um Sicherheit in positiven Stimulationen zu finden.“

Am Samstagvormittag fasst Hans noch einmal zusammen: „
Wenn wir unreflektiert der Voreingenommenheit unserer Muster folgen, dann ist die Welt so, wie wir sie sehen und nicht wie sie ist. Wie wir auf etwas schauen, so wird die Welt. Unsere Muster sind eine Einschränkung und gleichzeitig eine besondere Gabe, ein Beitrag für das Ganze.“

Für die folgenden Achtsamkeitsexperimente empfiehlt uns Hans eine Haltung von innerer Aufmerksamkeit: Aufgeschlossen, absichtslos und aufmerksam, ohne zu beurteilen.

Die erste Übung lässt uns den Autonomiezyklus ( Aufmerksamkeit für Territorium, Grenze und Einfluss) entdecken:

Wir stehen einem Partner gegenüber, in einem für uns angenehmen Abstand, geerdet und „gehimmelt“ und auf unseren inneren Körper fokussiert. Nun stellen wir uns vor, dass der Andere einen Schritt auf uns zumacht. Der Auftrag lautet: „Beobachtet den Reflex eures Musters. Manchmal ist es wie immer und manchmal ist es überraschend anders.“

Beim anschließenden Austausch gibt es verschiedene Reaktionen. Eine Teilnehmerin sagt: “Ich konnte meine Grenzverletzung erlauben und blieb innerlich bei mir.“

Die zweite Übung wendet sich dem Herz- oder Liebeszyklus (Aufmerksamkeit für den Anderen) zu:

Hans zitiert J.W.v.Goethe: “Wenn ich dich liebe, was geht´s dich an?“ Er gibt uns den Tipp, Geräusche (im Nebenraum probt das ganze Wochenende eine Tanzgruppe) und Gedanken wahrzunehmen und uns dann immer wieder auf unser inneres Erleben zu fokussieren.

Für die Übung wählen wir wieder einen Partner und stehen uns gegenüber, so nah oder weit, wie es für uns angenehm ist. Wir konzentrieren uns auf unser Herzzentrum und dehnen die Herzenergie auf unseren Partner aus. Stimmen danach: „Wenn ich fokussiert
bin, bin ich mir selbst genug.“ Und „Ich habe eine tiefe, anspruchslose Beziehung zum Anderen gefühlt. Das gab mir Sicherheit.“

Die dritte Übung ist für den Kopf- oder Sicherheitszyklus (Aufmerksamkeit für Schutz, Zuflucht, Halt und Unterstützung):

Mit einem neuen Partner stellen wir uns, mit etwas Abstand, Rücken an Rücken, fokussieren uns auf unseren inneren Körper und konzentrieren uns dann auf einen Punkt zwischen den Ohren, in der Mitte des Kopfes (der physische Sitz der Zirbeldrüse). Dann versuchen wir, von diesem Punkt aus, eine Verbindung zu unserem Partner herzustellen.
Danach bewegen wir uns voneinander weg und probieren die Verbindung zu halten.

Hans sagt: “Das kommt euch jetzt vielleicht ein bisschen spooky vor, aber versucht es mal .
“Manche von uns spürten, besonders beim Auseinandergehen, wenig. Für einige war es eine besonders intensive Erfahrung. „Es war ein starkes körperliches Gefühl und die Verbindung zu meiner Partnerin war, auch aus der Entfernung, sehr groß.“

Weil wir uns alle dafür interessieren, wie verschieden wir in Beziehungen ticken, stellt uns Hans die folgenden Fragen:

1. Was geht in Beziehungen gar nicht?
2. Welche Herausforderungen würden mir gut tun?
3. Wozu würde ich mich gerne ab und zu verführen lassen?

Menschen des Musters 8 antworteten:
1. „Verarschen geht gar nicht. Täuschung mach´ ich transparent.“
„Wenn Menschen mir Lügen erzählen, mich einlullen oder sich nicht zeigen.“
„Wenn mir jemand Schutz vorspielt.“
„Wenn jemand etwas von mir erwartet ohne zu fragen, ob ich bereit bin es zu geben.“
2. „Andere sollen mich mit mir konfrontieren, mit dem was ich tue und sage. Ich will verstehen, wo ich übergriffig werde.“
3. „Wenn es möglich wäre es zu ertragen, möchte ich im Herzen berührt werden.“
„Ich möchte ohne Angst sein.“

Menschen mit dem Muster 9 sagten:
1. „Vertrauensbruch ist schlimm. Wenn ich jemandem etwas anvertraue und er erzählt es weiter.“
„Gedrängt werden.“
„Wenn mich jemand zwingen will Entscheidungen zu treffen.“
„Kontrolle und Manipulation.“
„Wenn man mich unterschätzt. Dann denke ich: Das wollen wir doch mal sehen.“
2. „Wahrgenommen werden und Aufmerksamkeit bekommen.“
„Sichtbar werden und Führung übernehmen.“
„Wenn mir Andere etwas zumuten und zutrauen.“
„In Konflikte gehen. Aussprechen was stört.“
„Gefühle rauslassen.“
3. „Etwas ganz Verrücktes machen. Nervenkitzel empfinden.“
„Bedingungsloser, offener Kontakt.“
„Ich wünsche mir, mich zu mir selbst zu finden.“

Menschen des Musters 1 bemerkten:
1. „Kontrolle von außen ist schwierig.“
„Übergangen und übersehen werden sind schlimm.“
„Geradestehen für etwas das ich nicht getan habe.“
„Unehrlichkeit und Unklarheit. Manipulation.“
„Ausgenutzt werden.“
2. „Vornehmlich Dreck und Unordnung, eigentlich aber die Leiden der Welt zu ertragen.“
„Meine Anliegen freundlich darlegen, ohne Wut.“
„Meine Fehler und die der Anderen zu akzeptieren.“
3. „Meine Prinzipien in den Wind zu schießen und zweckfrei Spaß zu haben.“
„Ungeplant etwas ganz Verrücktes machen.“

Menschen des Musters 2 erklärten:
1. „Schrecklich ist das Gefühl der Nichtverbundenheit.“
„Beziehungsabbruch.“
„Wenn meine Freiheit eingeschränkt wird.“
2. „Eine Herausforderung wäre, in´s Blickfeld zu rücken.“
„Zu spüren, nicht nur ein Herz zu haben, sondern auch ein Gehirn.“
„Die Angst vor dem „Nein“ zu überwinden.“
„In Konflikt gehen und eigene Bedürfnisse herausstellen.“
3. „Leichtigkeit. Auszeit, um sich im Nichttun zu spüren.“
„Freiwillig Beziehung zu bekommen. Wenn jemand sagt: Ich bin immer für dich da, ohne dass ich manipulieren muss.“
„Zur Stille.“

Menschen des Musters 3 sagten:
1. „Sehr unangenehm ist das Gefühl, ausgenutzt zu werden.“
„Planen ohne zu tun. Nicht anzufangen.“
„Theoretisieren.“
2. „Genießen zu können, ohne es mir verdient zu haben, z.B. Oma zu werden.“
„Wirklich wahrgenommen werden.“
3. „Dass Andere das Ruder übernehmen.“

Menschen des Musters 4 antworteten:
1. „Untreue geht gar nicht.“
„Unter Druck gesetzt werden.“
2. „Anderen Menschen so viel Beachtung zu schenken, wie ich sie mir gebe.“
„Mich Anderen mehr zumuten und zeigen.“
„Alleine sein.“
3. „Hemmungslosigkeit.“
„Leichtigkeit. Ernst und Schwere loslassen.

Menschen des Musters 5 meinten.
1. „Interpretiert und gedeutet werden.“
„Manipulation, Kontrolle und Misstrauen.“
„Eine Ebene zeigen und eine andere haben.“
„Wenn das Vertauen, dass ich in jemanden gesetzt habe, enttäuscht wird.“
„Wenn hinter meinem Rücken über mich geredet wird.“
„Dummheit geht gar nicht.“
2. „Mit einer einzigen Person viel Zeit zu verbringen.“
„Smalltalk machen.“
„Neugierde nicht mit Kontrolle verwechseln.“
3. „Zulassen, dass mir jemand hilft.“
„Versorgt werden.“
„Zu einem Smalltalk verführt werden, ohne es zu merken.“
„Sexi Tanzen.“

Leider waren keine Menschen mit dem Muster 6 anwesend.

Menschen des Musters 7 beobachteten folgendes:
1. „Eingeschränkt werden ist schrecklich.“
„Befehle bekommen.“
„Unterwürfigkeit, Dummheit und Langeweile.“
„Tiefe und Herzensqualität abgesprochen bekommen.“
2. „Ehrlich und konkret zu sein, ohne dass die Anderen sich gut fühlen müssen.“
„Nicht zu planen.“
„Mich im Kontakt mit Anderen festzulegen.“
„Eine vierwöchige Fastenkur.“
„Reizreduzierung und Altern.“
3. „Situationen in denen ich meinen Körper mehr spüre.“
„Reisen ohne Plan.“
„Den Raum geöffnet bekommen für mehr Tiefe und Ruhe.“

Den Sonntagvormittag eröffnet Hans mit folgenden Worten:

„Jeder von uns hatte schon Erlebnisse, die etwas Transpersonales hatten. Etwas, für das man keine Worte findet.
Die Erfahrung Gottes ist fortwährendes Staunen. Im Hinduismus gibt es die Worte: Sat (Ichbin), Cit (Ich bin mir bewusst, das ich bin) und Ananda (Glückseligkeit, Freude über die Verbundenheit mit allem). Diese drei Qualitäten entsprechen den drei Zentren des Enneagramms, Bauch (Ich bin), Kopf (Ich bin wach) und Herz (Ich spüre die Verbundenheit).
Wenn wir unsere innere Arbeit tun und die drei Zentren in ihrer Reinheiterleben, dann hat das eine große transformierende Kraft.“
Um diese Transformation zu verstehen, machen wir das letzte Focusing-Experiment in innerer Achtsamkeit an diesem Wochenende.
Hans: “Es geht um eine Dimension, die so nah und so intensiv ist, dass man eigentlich gar nicht darüber sprechen kann.“

Wir sitzen uns gegenüber und dehnen unseren inneren Raum auf den unseres Partners aus. In Gedanken lassen wir zwischen und über uns ein Dreieck der Liebe entstehen.

Die Erfahrungen bei dieser Übung waren bei Einigen teilweise sehr intensiv:
„Ich war ganz da und ganz verbunden und wach.“
„Ich habe die Übung als sehr wohltuend empfunden. Die Erfahrung von einem sicheren Raum von Verbundenheit und Gewahrsein. Zurück in Zeit und Raum entstehen wieder Angst und Traurigkeit.“
„Ich wollte gar nicht mehr aufhören. Ich hatte eine Verbindung mit euch allen.

Hans meinte zum Abschluss:
“Wenn wir an diese ängstliche Stelle von Urnot am Grunde des Musters gehen, dann ist da Trennung. Was hilft ist die Erfahrung von Weitraum. Innerer und äußerer Raum sind da und ich bin in der Lage, das zu tragen.“

In einer letzten Abschlussrunde stellte uns Hans die Frage:

„Warum hat es sich für euch gelohnt hier zu sein?“
„Es waren Übungen ohne Körperkontakt und ich war trotzdem in Beziehung.“
„Ich fühle mich traurig, irgendetwas hat sich geöffnet.“
„Hans Neidhard hat uns einfühlsam durch die Übungen geführt.“

Vielen Dank an Hans Neidhardt, der uns unaufgeregt, humorvoll und mit einem sehr guten Zeitgefühl durch das Wochenende geleitet hat. Vielen Dank auch an die vielen TeilnehmerInnen, die dem Seminar Leben gegeben haben. „Es war ein Wochenende der Verbundenheit.“

gez.: Claudia Goldbach

PS.: Ausführliche Informationen zum Thema des Wochenendes findet ihr unter folgendenLinks:

https://hans-neidhardt.de/sites/gemeinsam-wege-gehen.de/files/Hans/PDFs/leib.seele_.enneagramm.pdf

https://hans-neidhardt.de/sites/gemeinsam-wege-gehen.de/files/Hans/PDFs/sein_und_werden.pdf